Zeitzeugengespräche 2023/24 - Gerhard Wiese


Nachdem unser Zeitzeuge Georg Felhölter verstorben ist, schien es so, dass dies unser letzter Gast war, der noch aus eigener Erfahrung vom Nationalsozialismus berichten konnte. Nun ist es jedoch gelungen, tatsächlich noch einmal einen Zeitzeugen zu gewinnen, der bereits 2019 bei uns im Haus war. Gerhard Wiese hat unseren Schülerinnen und Schülern daher in einem Zeitzeugengespräch am 17. Juni (5./6. Stunde) von seinen Erlebnissen berichtet.



Der Zweite Weltkrieg und die Auschwitzprozesse:

Ein Zeitzeugengespräch mit Gerhard Wiese


Das diesjährige Zeitzeugengespräch für die Jahrgangsstufe Q 2 fand am 17. Juni 2024 in der Aula der Eichendorffschule Kelkheim statt, wo der nun 96 jährige Gerhard Wiese, ehemals Staatsanwalt während der geschichtsträchtigen Auschwitzprozesse, seine Lebensgeschichte teilte und den Schülerinnen und Schülern interessante Einblicke in das Geschehen der damaligen Zeit lieferte.
Der am 26. August 1928 geborene Jurist hatte bereits mit 15 Jahren seine ersten Erfahrungen gesammelt, als er am Ende des Zweiten Weltkriegs als Flakhelfer eingezogen wurde. Nach zahlreichen Einsätzen rund um Berlin geriet er in Kriegsgefangenschaft auf sowjetischer Seite, welcher er aber nach kurzer Zeit unbeschadet entkommen konnte. Mit seinem Abitur 1947 ebnete er sich seinen weiteren Weg, wobei erst dann sein eigentlicher Werdegang hin zum Gebiet der Rechtswissenschaften begann. Gerhard Wiese legte schließlich sein Staatsexamen in Frankfurt am Main ab und im Jahr 1959 bewarb er sich bei der Staatsanwaltschaft.

Seine Karriere erhielt einen entscheidenden Wendepunkt, als der Hauptankläger der Auschwitzprozesse Fritz Bauer Gerhard Wiese 1962 zu den Vorbereitungen der Auschwitzprozesse beorderte. Nach langwierigen Ermittlungen und Ortsbesichtigungen am Tatort in Auschwitz-Birkenau konnten letztlich die Prozesse mit der nötigen Beweislage be-ginnen. Dort trug Wiese dazu bei, dass 1965 22 Angeklagte zu lebenslangen oder langjährigen Haftstrafen verurteilt, einige aber auch wegen der fehlenden Beweislage freigesprochen wurden. Dabei bereitete Wiese die Anklagen für zwei besonders brutale Verbrecher vor: Den „Die Bestie von Ausschwitz“ genannten SS-Oberscharführer Wilhelm Boger und Rapportführer Oswald Kaduk.

Zum Ende hin bot sich dem Publikum noch die Möglichkeit, Herrn Wiese Fragen bezüglich seiner Einschätzung und Erfahrung zu stellen, auch bezüglich der heutigen Zeit. Diese beantwortete er ausführlich und sorgte so für einen gelungenen  Abschluss  dieses  aufschlussreichen Montagvormittags.

Ein besonders herzlicher Dank geht auch an Frau Schäfer, die das Zeitzeugengespräch organisiert und möglich gemacht hat, ohne ihr Engagement wäre uns diese Erfahrung vorenthalten worden. Darüber hinaus bedankt sich auch die gesamte Stufe Q2 nochmals recht herzlich bei Herrn Wiese für die detaillierten Einblicke seiner bemerkenswerten Lebensgeschichte und wünscht ihm alles Gute und viel Gesundheit.

Yannik Heinemann und Vincent Smith


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Gerhard Wiese (*1928 in Berlin)

Mit 15 Jahren wurde er als Flakhelfer eingezogen und geriet Anfang 1945, also mit 17 Jahren, in sowjetische Kriegsgefangenschaft, wurde jedoch sehr bald wieder entlassen. Anschließend begann er sein Jurastudium in Berlin und legte sein Staatsexamen in Frankfurt am Main ab. Bereits Anfang der 60er Jahre holte Generalstaatsanwalt Fritz Bauer ihn in das Vorbereitungsteam für die berühmt gewordenen Frankfurter Auschwitz-Prozesse.

Der Spielfilm „Im Labyrinth des Schweigens“ über den Auschwitz-Prozess, der 2014 in die Kinos kam, beruht auch auf seinen Erinnerungen.

Weitere Informationen: https://de.wikipedia.org/wiki/Gerhard_Wiese_(Jurist)


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