"Man muss ein klares Ziel haben"
vom 07.09.2016
Die 16-jährige Simone Kuhn hat ein Jahr lang erfolgreich das Schülerunternehmen recigees geleitet. Ein Gespräch über weibliche Durchsetzungskraft und Erfolg.
Die Eichendorffschule in Kelkheim-Münster, später Nachmittag. Simone Kuhn ist nur deshalb noch hier, weil es noch einmal um ihre Firma geht. In einem Schrank im Klassenraum des 70er Jahre Flachbaus lagern die Reste der Geschäftstätigkeit der vergangenen zwölf Monate: ein Stapel Kochbücher und ein paar Kopien des Geschäftsberichts von recigees, deren Vorstandsvorsitzende Simone im Schuljahr 2015/2016 gewesen ist. Es ist ein kleiner Stapel Bücher, der noch übrig ist. Denn die Geschäftsidee der Schülerfirma war ein voller Erfolg.
Simone, wie wurden Sie Chefin?
Ich organisiere sehr gerne. Und ich kann auch ganz gut vor Leuten sprechen. Das hat gereicht, um von meinen Schulkameraden zur Vorstandsvorsitzenden unserer Schülerfirma gewählt zu werden
Waren Sie die einzige Bewerberin?
Nein, da waren noch drei andere. Aber ich habe mich durchgesetzt.
Sagen Sie anderen gerne, was die zu tun haben?
Daran musste ich mich gewöhnen. Wenn jemand eine Arbeit nicht erledigt hatte, war ich einverstanden, dass sie später erledigt wird. Gerade am Anfang habe ich dann manches einfach selbst gemacht. Das würde ich jetzt nicht mehr so tun, sondern klar delegieren und auch einfordern, dass pünktlich gearbeitet wird.
Wie wichtig ist es, dass einer oder eine das Sagen in einer Firma hat? Kann man nicht besser im Team arbeiten?
Es braucht auf jeden Fall eine Hierarchie. Es gibt Leute, die sind weniger engagiert, haben weniger Ahnung oder einfach nicht den Überblick. Wir hatten auch Leute im Team, die konnten einfach nicht selbstständig eine Aufgabe übernehmen. Wenn man ihnen aber gesagt hat, was sie tun sollen, haben sie das perfekt erledigt. Solche Leute brauchen jemanden, der Anweisungen gibt. Wenn ich den Abteilungsleitern gesagt habe, was zu tun ist, haben die das sehr gut an ihre Abteilungen weitergegeben. Das hat prima funktioniert. Wenn wir versucht haben, alles im Team zu besprechen, war das das pure Chaos.
Wie ist das mit der Bezahlung? Haben Sie mehr verdient als jene, die nur erledigt haben, was man ihnen aufgetragen hat?
Wir hatten alle den gleichen Stundenlohn von 50 Cent.
Finden Sie das gerecht?
Unterschiede in der Bezahlung darf es schon geben. Ich finde es aber auch ungerecht, wenn irgend ein Abteilungsleiter viel mehr verdient als beispielsweise eine Nachtschwester, die für die Gesundheit von vielen Menschen verantwortlich ist.
Wie groß dürfen die Unterschiede denn sein?
Ich würde die Bezahlung davon abhängig machen, wie viel jemand arbeitet, wie anstrengend und schwierig die Arbeit ist und wie viele Leute sie überhaupt erledigen könnten.
Verdient dann die Vorstandsvorsitzende hundert Mal so viel wie der einfache Arbeiter, der die Kisten packt und schleppt?
Nicht das Hundertfache. Da finde ich den Unterschied zu groß. Aber das Zwanzig- bis Dreißigfache finde ich noch in Ordnung. Das ist ja auch viel Geld. Ich glaube nicht, dass ein Chef unbedingt ein paar Millionen im Jahr bekommen muss. So wertvoll ist dessen Arbeit dann auch wieder nicht.
Selbstbewusst und konsequent: Simone Kuhn. Foto: Michael Schick
In der Schule soll möglichst gleichberechtigt und im Team gearbeitet werden. Wie groß war für Sie der Sprung vom Klassenzimmer ins Vorstandsbüro?
Das fiel mir nicht schwer. Zwar soll in der Schule möglichst gleichberechtigt gearbeitet werden, tatsächlich passiert das aber fast nie. So gibt es bei einer Gruppen- oder Teamarbeit meistens einen oder eine, der die Leitung und Organisation übernimmt, während andere nur ihre Aufgaben erledigen.
Sollte schon in der Schule anders gearbeitet werden?
Nein, nicht unbedingt. Präsentieren und Gruppenarbeiten sind schon jetzt ein wichtiger Bestandteil des Unterrichts, in denen Schüler auch eine Art Führungsposition übernehmen können. Gut wäre es aber, auch das Delegieren und Kommunizieren zu fördern, indem man bei Gruppenarbeiten Hierarchien einrichtet.
War es mühsam, sich als weibliche Führungskraft durchzusetzen?
Auf jeden Fall, gerade die Jungs hatten Probleme zu akzeptieren, dass sie nicht tun und lassen konnten, was sie wollten. Die wollten sich von einer Frau nichts sagen lassen, da sind viele Jungs ziemlich kompliziert und das Arbeiten mit ihnen war schwieriger als mit den Mädchen.
Was muss frau mitbringen, wenn sie sich durchsetzen will?
Viel Selbstbewusstsein, und man muss ein klares Ziel haben. Man muss seine Arbeit gut machen, bei Auseinandersetzungen und Entscheidungen konsequent bleiben. Je besser unsere Firma lief, desto größer wurde auch die Akzeptanz der weiblichen Führung.
Was halten Sie von einer Frauenquote für Führungspositionen?
Frauen sollten schon ohne eine solche Unterstützung in die Führungspositionen kommen.
Warum klappt das offenbar nicht?
Männer wollen einfach lieber Chef sein, sie wollen Prestige, Image und Karriere, treten viel machtbewusster auf. Das tun viele Frauen so nicht, sondern sie wollen einfach eine gute Arbeit abliefern. Ich glaube, damit wird man aber nicht unbedingt Chef. Mir ging es ja auch nicht darum, Vorstandsvorsitzende zu werden, einfach nur, weil ich Vorstandsvorsitzende sein wollte. Ich wollte das werden, weil ich Spaß an der Arbeit hatte und daran, die Firma erfolgreich zu machen. Wenn also mehr Frauen Führungspositionen hätten, wäre das für die Firmen sicher nicht schlecht, denke ich.
Mit Ihren 16 Jahren gehören Sie der Generation Y an. Und die will Studien zufolge vor allem Work-Life-Balance. Sie auch?
Ja, schon. Neben der Arbeit muss es auch noch was anderes geben. Bei mir war das vor allem der Sport.
Und später, wie ist das mit Familie, Mann und Kindern? Wer verdient da das Geld?
Sicher beide, und beide kümmern sich auch um die Kinder, wenn welche da sein sollten. Ich möchte ganz sicher arbeiten gehen, Geld verdienen und Kollegen haben. Das kann ich mir nicht anders vorstellen. Vielleicht würde ich in Teilzeit arbeiten, wenn die Kinder noch klein sind. Mein Mann sollte das dann aber auch machen, da kann man sich ja abwechseln.
Es gibt ganz viele prekäre Arbeitsverhältnisse, Zeitverträge, viel Wechsel in den Berufen und den Arbeitgebern, auch bei gut ausgebildeten Leuten. Bereitet Ihnen das Sorgen?
Nein, es ist doch ganz natürlich, dass man im Leben verschiedene Sachen macht und auch mal wenig Geld verdient. Für eine Zeit ist das auch ganz in Ordnung. Ich glaube aber schon, dass ich mal einen sicheren Job haben werde, wenn ich älter bin.
Ihrer Generation steht die Welt offen, Sie haben viel mehr Möglichkeiten, Ihr Leben zu gestalten, als die Generationen zuvor. Jetzt scheint es, etwa was die Entwicklung Europas angeht, ein Rollback zu geben hin zu stärkeren Nationalstaaten und mehr Abgrenzung. Wie nehmen Sie das wahr?
Für mich ist es selbstverständlich, ohne große Formalitäten, Grenzkontrollen oder Geld wechseln in die Nachbarländer reisen zu können. Ich hoffe und glaube auch, dass das weitgehend so bleibt.
Worauf gründen Sie Ihre Hoffnung?
Trotz des Brexits und möglichen weiteren Austritten denke ich nicht, dass es ein Europa mit Grenzen geben wird. Zwar sind auch Abgrenzung eine Folge des Brexits, jedoch bewirkt er meiner Meinung nach das Gegenteil. Die Staaten werden nun mehr zusammenarbeiten und Lösungen für ihre Probleme suchen, um Unzufriedenheit und das Zerbrechen der EU zu verhindern.
Das Produkt Ihrer Firma ist ein Kochbuch. Die Rezepte stammen von Menschen, die nach Deutschland geflüchtet sind, neben den Gerichten stellen Sie dort die Herkunftsländer vor und erzählen die Geschichten der Geflüchteten. Warum ein solches Produkt?
Wir wollten auf jeden Fall etwas Soziales machen. Es war für uns ziemlich mühsam, all die Leute zu finden und zu treffen, die nun im Buch vorkommen. Aber es hat sich wirklich gelohnt. Wir haben selbst viel erfahren und haben viel davon auch im Buch wiedergeben können.
Warum musste es etwas Soziales sein?
Ich glaube, es ist wichtig, anderen zu helfen. Die Wirtschaft ist ja nicht für sich allein da, sondern für die Menschen. Und als Schülerfirma sind wir ja ein Teil der Wirtschaft.
Wie erfolgreich ist Ihre Firma?
Wir haben zu Beginn 90 Aktien zum Kurs von jeweils zehn Euro ausgegeben. Jetzt am Ende haben wir einen Kurswert von 44 Euro. Ich glaube, das ist ganz ordentlich. Von den 1000 Büchern, die wir haben drucken lassen, sind bis jetzt 920 verkauft.
Wie hoch war dabei der Gewinn?
Ein Buch hat uns insgesamt acht Euro gekostet, vor allem natürlich der Druck. Wir haben die Bücher für zwölf Euro verkauft. Spenden durften wir keine annehmen, der Gewinn ist komplett selbst verdient.
Wie kamen Sie auf diesen Verkaufspreis?
Wir wollten so viel einnehmen wie möglich, das Buch durfte aber auch nicht so teuer sein, dass es keiner kaufen möchte. Also haben wir ein bisschen Marktforschung betrieben und gefragt, was die Leute für das Buch ausgeben würden.
Wem hat Ihr Unternehmen genützt?
Sicher uns selbst, weil wir viel gelernt und sogar ein bisschen was verdient haben. Wir haben erfahren, wie man effektiv arbeitet, miteinander auskommt, auch wie man erfolgreich etwas verkauft. Die Aktionäre haben einen ordentlichen Gewinn gemacht. Und weil die meisten diesen Gewinn ganz oder zum Teil gespendet haben, können wir der hiesigen Flüchtlingshilfe nach Abzug von Körperschafts- und Umsatzsteuer immerhin 2859,27 Euro überweisen.
Wie wichtig ist Ihnen das soziale Engagement eines künftigen Arbeitgebers?
Da sollte jedes Unternehmen etwas tun. Durch Spenden oder auch dadurch, dass man beispielsweise Flüchtlingen ein Praktikum oder auch eine Ausbildung ermöglicht. Ich finde, da haben Unternehmen, die Geld verdienen, schon eine Verantwortung.
Von PETER HANACK