Endlich - die Amerikaner sind da -
Jubel einer Zeitzeugin
vom 05.12.2013
Zeitweilig wäre die immer wieder zitierte zu Boden fallende Stecknadel lauter gewesen, als das Atmen der Schülerinnen und Schüler der Oberstufe in der Eichendorff-Schule, die in den Vortrag von Lilo Günzler gekommen waren. Es war ein Vortrag im Geschichtsunterricht, in diesem Fall von jemandem, der als Zeitzeuge einen Bruder hat, der wohl als einziger Frankfurter Jude die Schreckenszeit zwischen 1933 und 1945 überlebte. Sie selbst, heute 79 Jahre alt, ist Halbjüdin und geriet voll in den irrwitzigen Strudel der damaligen Zeit. Dass sie überlebte, hat sie ihrem „arischen“ Vater, der eine Jüdin geheiratet hatte und viel persönlichem Glück zu verdanken.
Was die alte Dame schilderte, will heute kaum in die Köpfe junger Menschen rein, eben das Schicksal, das Menschen damals widerfuhr. Menschen, die friedlich in einer Frankfurter Gemeinschaft lebten, bis es mit einem Mal hieß: Juden raus! Bis diese Menschen auf Geheiß der Nationalsozialisten gelbe Judensterne tragen mussten, rechtlos wurden.
Es waren erschütternde Sätze und Erinnerungen, die hier auf die Schülerinnen und Schüler hereinprasselten, aus heutiger Sicht absolut nicht zu begreifen.
Und doch war es so, dass Lilo Günzler, die das „Privileg“ hatte einen „arischen Vater“ zu haben, von ihrem Bruder Helmut, der aus einer Ehe ihrer Mutter vorher mit einem Juden stammte, also Volljude war, getrennt wurde.
Durch den Eisenbahntransport nach Theresienstadt. Im Grunde genommen programmiert für das Vernichtungslager Auschwitz. Und erlebte, wie Mutter und Bruder im Frankfurter Ostbahnhof mit dem letzten Frankfurter Transport abtransportiert wurden, wie sich der Riegel der Waggontür vor den beiden schloss. Unvollstellbar für ein zwölfjähriges Mädchen.
Als der Junge doch zusammen mit der Mutter überlebte, gerade mal vierzehn Jahre alt, wog er 24 Kilo. Dieses Schicksal und diese bitteren Erlebnisse hat er nie überwunden.
Genauso beeindruckend die Schilderungen der Nacht 1938 als die Synagogen brannten, vom Frankfurter Feuersturm in einer Bombennacht mit den ganzen Konsequenzen, denen sich ausgebombte jüdische Familien gegenübersahen, sofern man sie überhaupt noch in Frankfurt leben und wohnen ließ.
Und dann das Erleben eines kleinen Mädchens, dass über einen langen Zeitraum — es hatte alles Zeitgefühl verloren — im Keller eines noch heil gebliebenen Hauses lebte, bis mit einem Mal ein Farbiger vor der Tor stand. Das konnte nur ein Amerikaner sein, jubelte mit ausgebreiteten Armen Lilo Günzler (Bild oben).
Vielleicht etwas trostvoll: Es gab auch Menschen, die mutig halfen und trotz aller Gefahren für Leib und Leben dazu beitrugen, der Familie ein Überleben zu ermöglichen.
Neben Lilo Günzler berichteten in weiteren Gruppen an diesem Tag Ursula Rose, deren Eltern als Roma verfolgt wurden sowie Gerhardt Veidt (87), der berichtete, wie er die Zeit damals erlebte,.Und zwar als Sohn in einer Pfarrersfamilie in Frankfurt; der Vater war Pfarrer an der Paulskirche und streng antinationalsozialistisch eingestellt.